Stefan Politze sprach sprach in der 20. Plenarsitzung des Niedersächsischen Landtags am 12. November zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drs. 16/604) Diskriminierung und Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien im Bildungssystem abschaffen - Alle Talente fördern und Chancen endlich nutzen!



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Stefan Politze zu TOP 9

- es gilt das gesprochene Wort -

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Wahlkampf in den USA ist nicht zuletzt durch das Thema Bildung gewonnen worden.

„Die Politik kann nicht alle Probleme lösen. Aber sie sollte die Probleme lösen, mit denen der Einzelne überfordert ist: Uns Sicherheit geben und unseren Kindern gute Bildung. Unser Wasser sauber und das Spielzeug unserer Kinder frei von Schadstoffen halten; sie sollte neue Schulen und neue Straßen bauen und Wissenschaft und Technik für eine lebenswerte Zukunft unterstützen.“

So beschreibt der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten sein Verständnis von den Aufgaben der öffentlichen Hand. Barack Obama und seine Wahlkampfführung haben schon früh gewusst, dass man mit dem Thema Bildung Wahlen gewinnen oder verlieren kann.

Zur aktuellen Situation: der Bildungsgipfel enttäuschend

In Deutschland hat vor etwas mehr als zwei Wochen der so genannte „Bildungsgipfel“ stattgefunden.

Ob die Bilder schön waren, können sie selber entscheiden. Die Ergebnisse waren es jedenfalls nicht.

Wie aber denken die Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland über den Bildungsgipfel? Das Positive ist, dass die Menschen glauben, dass der Bildungsgipfel notwendig war (96% sagt eine Umfrage). Aber: nur 8% der Befragten gehen davon aus, dass die Ergebnisse des Bildungsgipfels ein Meilenstein sind.

Dies führt nach meiner Auffassung zu Politikverdrossenheit.

Worte und Taten des Ministerpräsidenten könnten nicht weiter auseinander liegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Herr Wulff sagt A, meint aber B und will die Bildungsausgaben weiter zusammenstreichen lassen.

Schwarz auf Weiß ist in der Mittelfristigen Finanzplanung nachzulesen, dass der Anteil der Ausgaben für Hochschulen, Schulen und Berufsausbildung am Gesamtetat bis 2012 sinkt. - Im Bereich Hochschulen und Forschung von 8,48 Prozent in 2008 auf 8,13 Prozent in 2012, - im Bereich Schule und Berufsausbildung im selben Zeitraum von 16,17 auf 14,82 Prozent.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition!

Sie sorgen dafür, die Chancen für Deutschland und für Niedersachsen zu verpassen und zu verpatzen.

Das ist nicht nur schade, sondern fatal für die Schule, die Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer.

Denn die wahren Skandale der Schule finden abseits aller Bildungspolitischen Grundsatzdebatten im Kleinen statt:

Wenn Kinder benachteiligt werden, wenn ihnen der Mut genommen wird.

Und die Folgen sind sichtbar: wenn Kinder einen Migrationshintergrund haben, haben Sie im Durchschnitt immer deutlich schlechtere Noten als ihre Mitschüler ohne Migrationshintergrund.

Das sind für mich die wahren Probleme an der Schule.

Das Ziel ist klar: Schule muss wieder eine Aufstiegsperspektive für Alle haben.

Das ist mein Kernziel von Bildungspolitik. Ihren scheint das - vorsichtig formuliert - nicht durchgängig zu sein.

Eine gute Bildungspolitik von heute ist die beste Sozialpolitik von von morgen.

Sprachförderung als Mittel zur Chancengleichheit

In der ministeriumseigenen Informationsbroschüre „Sprachförderung in Kindergarten und Schule“ heißt es:

“Je nach Stand der deutschen Sprachkenntnisse der Kinder und nach den jeweiligen organisatorischen Möglichkeiten entscheiden die Schule über ihr schulspezifisches Förderkonzept und die einzurichtenden Förderangebote.“

Abgesehen davon, dass es wohl eher heißen müsste: „die Schulen führen je nach Ausstattung und personellen Möglichkeiten ihre Maßnahmen durch“, ist hier ein Gesamtkonzept, dass die Förderung vom Kindergarten bis mindestens zur 8. Klasse, besser bis zur Hochschule, umfasst, nicht zu finden.

Die Teilnahme an diesem Unterricht ist freiwillig und alle diese Einzelmaßnahmen enden dann auch nach Klasse vier. Vier Jahre sind aber nicht genug, um Sprachdefizite auszugleichen.

Selbst nach dem Durchlaufen der Schullaufbahn haben sogar Studenten aus Migrantenfamilien Probleme mit der deutschen Sprache. Andere Länder, wie Schweden oder Kanada begleiten da von der Einschulung bis zur Hochschule.

Und in Niedersachsen? Flickschusterei und bedarfsferne Zuweisungen:

So wurde die Finanzierung der vorschulischen Sprachförderung mit Sprachförderungskräften in Kindertageseinrichtungen durch das Land Niedersachsen mit dem Jahr 2006 auf eine andere Fördergrundlage umgestellt.

Weg von einer bedarfsgerechten Förderung, die da hilft, wo es gebraucht wird, hin zu einer pro Kopf-Förderung.

Dies hatte zur Folge, dass für Kindertagesstätten zum Beispiel in der Landeshauptstadt Hannover von ehemals 1,4 Millionen Euro in 2005/2006 derzeit nur noch Landesmittel in Höhe von 980.000 Euro zu Verfügung stehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen!

Wie man es als Kommune macht, oder machen muss, wenn das Land sich zurückzieht, kann man im Lokalen Integrationsplan, aber auch in dem flächendeckenden Konzept zur Sprachförderung für Kitas und Grundschulen der Landeshauptstadt nachlesen.

Hannover wird seiner Verantwortung gerecht. Das Land tut es nicht.

Ob ein ganzheitliches Konzept der Sprachförderung in Gesamtschulen, in einer Gemeinsamen Schule - oder welche Lösung sich für ein Land im demographischen Wandel auch anbietet - umgesetzt wird, ist im Vergleich dazu zweitrangig - solange die Marschrichtung “der Aufstieg muss für alle möglich sein” klar ist.

Fest steht: die Sprachförderung muss zu einem Schwerpunkt in unseren Bildungseinrichtungen werden und zwar ausdrücklich beginnend im ersten Kindergartenjahr bis mindestens zu 8. Klasse in der Schule. Hier ist das Land in der Pflicht endlich ein ganzheitliches Konzept inklusive einer ausgewogenen Finanzierung vorzulegen. Den Worten müssen Taten folgen oder, wie es der Arbeitgeberverband formuliert hat: “Es müssen messbare Zielmarken erkennbar werden“.

Es geht also um Schulen, die allen Kindern faire Chancen bieten. Im Mittelpunkt darf nicht das Sortieren nach Unterschieden in Leistung, Herkunft und Geschlecht stehen.

Vielmehr geht es um das Leistungsvermögen jedes einzelnen Kindes und um seine optimale Entwicklung. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit höheren Abschlüssen muss steigen, die Zahl von Jugendlichen ohne Abschluss sinken.

In diesem Zusammenhang dürfen und können wir uns den Verzicht auf die Begabungen und Kompetenzen von Kindern mit Migrationshintergrund, weil die sprachlichen Barrieren in unserem Bildungssystem zu hoch sind, nicht leisten.

Um noch einmal auf den neuen Präsidenten der USA zu kommen:

Bildung, das sei das Wichtigste überhaupt, wie sonst hätte ihr Enkel jemals soweit kommen können? So die Worte einer 85-jährigen Frau. Die alte Dame hieß Sarah Obama, ihr Enkel Barack Obama.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Wir als SPD werden den Antrag der Grünen in weiten Teilen unterstützen und haben nur an wenigen Stellen noch Diskussionsbedarf im Fachausschuss.

Bisher viel Theorie in der Diskussion. Wir werden im Ausschuss beantragen, die Sprachförderung in der Praxis zu begutachten und mit den Fachleuten vor Ort hierüber reden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.